Abreise – gleich zwei Mal
Die Einleitung hat mein damaliger Co-Pilot Warner schon vor einigen Jahren verfasst – leider ist er inzwischen nicht mehr unter uns. Warner war ein Landkartenfreak, und damit prädestiniert, der beste Beifahrer zu sein, den ich mir in diesem eher mager kartographierten Gebiet (Google Maps und Park4Night existierten noch nicht mal in den phantasiereichsten Köpfen) nur wünschen konnte. Posthum, und in großer Dankbarkeit starte ich den Reisebericht mit seinen Worten:
Wir schreiben das Jahr 1992. Ein paar Jahre zuvor fiel die Mauer in Berlin, viele osteuropäische Länder wurden durch friedliche Revolutionen von ihren Diktatoren befreit, und Europa schien endlich eins zu werden. Was für eine optimistische Zeit! Neue Welten öffneten sich und es war Zeit, sie zu entdecken. Aber wie? Ich hatte selbst keinen Führerschein, geschweige denn ein Auto. Europa musste mit dem Zug erfahren werden. Zum Beispiel hatte ich schon Berlin, Ostdeutschland und Teile Polens erkundet. Ich hatte mein Studium bereits abgeschlossen, hatte aber noch keine Arbeit, also hatte ich viel Freizeit. Zum Glück hatte ich einige Freunde, die ein Auto hatten. Einer von ihnen, Kai, hatte ein paar alte Volkswagen, und natürlich hat mir das gefallen. Er studierte Arabisch und bereitete ein Auslandspraktikum in Ägypten vor. Er würde bald für sechs Monate dorthin gehen. Aber ja, wenn du einmal in Ägypten bist, wirst du etwas sehen wollen, weil es dort so viel mehr gibt als Kairo. Mit dem eigenen Auto, das schien ideal. Es müsste doch möglich sein, eine Fähre zu nehmen. Kai verfolgte diese Idee, bat Bekannte um Rat und versuchte, so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Es schien jedoch keine Fähre nach Ägypten zu geben. Und was jetzt? Über Land… unmöglich – oder? Ja, das schien zunächst unmöglich, schon allein wegen der Entfernung: 6500 km. Auch die beste und interessanteste Route über Nordafrika erwies sich als unfahrbar, aufgrund politischer Befindlichkeiten. Die Grenzen Libyens zu dessen Nachbarn waren hermetisch abgeriegelt. Und was ist mit der Ostvariante? Östlich ums Mittelmeer? Nach vielen Überlegungen und gesammelten aktuellen Berichten stellte sich heraus, dass die Antwort auf diese Frage „Ja“ lautete. Jetzt galt es, einen Reisebegleiter zu finden, denn diesen Trip alleine zu fahren wäre keine gute Idee gewesen. Wie gesagt, ich hatte selbst viel Zeit, also fragte Kai, ob ich mitkommen wollte. Wir hatten jedoch keine Ahnung, was auf uns zukommt…
Das Auto
Kai hatte zwei Autos: einen VW Käfer, Baujahr1966 und einen VW-Bus von 1970. Der Käfer schien die bessere Wahl zu sein, er ist zwar etwas kleiner als der Bus, dafür aber deutlich günstiger im Verbrauch. Zudem der Bus in der Vergangenheit mehrfach technische Probleme hatte, während der Käfer, mit knapp 100.000 km auf dem Tacho, technisch -wenn auch nicht optisch- topfit war. Es war das Standardmodell mit 1200-ccm-Motor und ohne Kraftstoffanzeige auf dem Armaturenbrett. Das bedeutete: den Kilometerstand bei jedem Tankstopp aufschreiben und so oft wie möglich zu tanken, weil wir uns nicht auf den Reservehahn verlassen wollten.
Die Route
Unser Abenteuer konnte fast beginnen! Jetzt noch die genaue Route ermitteln (wir erinnern uns: 1992 gab es noch kein Google Maps, kein Navi, kein GPS). Sie würde über den Balkan, die Türkei, Syrien und Jordanien nach Ägypten führen. Der kürzeste Weg in die Türkei führte durch Jugoslawien und Bulgarien nach Istanbul. Jugoslawien war jedoch 1992 keine Option wegen eines Krieges, der sich als lang und blutig erweisen würde. Srebrenica hatte noch nicht einmal stattgefunden! Die Alternative führte über Österreich, Ungarn und Rumänien nach Bulgarien, ein Umweg, der die Reise zwei Tage länger machen würde. Schließlich mussten wir mehr Kilometer auf qualitativ fragwürdigen Straßen zurücklegen, vor allem in Rumänien. In der Türkei angekommen, würden wir versuchen, die Südküste so schnell wie möglich zu erreichen, weil das Wetter dort besser wäre (Reisezeit war Weihnachten/Silvester). Dann würden wir die Grenze von Syrien überqueren und durch Jordanien nach Ägypten fahren…in sha’allah!
Soweit Warners Einleitung, im Bericht finden sich auch einige Bilder aus seiner Hand.
Zur genauen Route gab es nur eine Unwegsamkeit: wie kommt man von Jordanien nach Ägypten? Der Geograph lacht nur kurz und sagt: über Elat (Israel). Doch die politischen Befindlichkeiten jener Zeit lassen das nicht zu. Und selbst wenn: nach diesem Reiseweg wäre die Rückkehr über Syrien ausgeschlossen, denn Syrien akzeptiert keine Einreise, wenn ein israelischer Stempel im Pass existiert. Dann taucht das Gerücht einer Fähre von Jordanien direkt nach Ägypten (Sinai) auf. Doch wer weiß Genaueres?? ANWB und ADAC winken ab: keine gesicherten Erkenntnisse. Reiseforen gibt es nicht, wohl aber Globetrotter, die unterwegs sind oder waren und ihr Wissen „insidermäßig“ austauschen, zum Beispiel über den Laden und Herausgeber Klaus Därr. Die Informationen verdichten sich, dass die Fähre -das Nadelöhr dieser Tour- existiert und auch fährt.
Tag 1: Na dann: Augen zu und durch – 408 km
Amsterdam, 23.12.1992: das Wetter ist nasskalt bei 5 Grad plus, der gereinigte Vergaser wird montiert, die Zündung eingestellt, drei Taschen und ein Karton mit Geschenken für Sofia (dazu später) werden eingeladen – die erste Etappe führt uns zu meinen Eltern in der Nähe von Frankfurt am Main.

Tag 2 (24.12.1992) – 697 km
Meine Eltern statten uns mit weiteren Essensvorräten aus, und weiter geht’s über Würzburg, Regensburg und Passau nach Österreich. Die letzte Grenze, die wir ohne anzuhalten passieren können. Über Linz geht es nach St. Pölten, aber die dortige Jugendherberge, die wir auserkoren hatten, ist geschlossen. Wie übrigens auch fast alle Hotels dort. Heiligabend– Ruhetag, oder so. Als wir dann endlich ein Hotel in dieser eigentlich touristischen Region finden, ist es das teuerste der ganzen Reise: 80 DM für ein kaltes Zimmer!
In der nächsten Folge: Grenzübergänge – wir tasten uns langsam ran. Es folgt: Level 1.