Vor 30 Jahren: Mit dem Käfer nach Ägypten (ohne Fähre!) – 5

Immer noch: Tag 6 (28.12.1992) – 653 km

Nach Edirne noch ein kurzes Stück Landstraße, dann folgt die nagelneue Maut-Autobahn nach Istanbul. Aber Vorsicht, ein Schild warnt: 145 Kilometer ohne Tankstelle! (Im weiteren Verlauf gab es in der Türkei an wirklich jeder Straßenecke eine Tankstelle!).

Byzanz, Konstantinopel, Istanbul: das Tor zum Orient, 2700 Jahre Geschichte, 1993 rund 7 Millionen Einwohner (heute gut doppelt so viele). Doch Sightseeing stand nicht an, ich war ein paar Jahre vorher schon dort gewesen, und wir wollten ja auch irgendwann an unserem noch in weiter Ferne liegenden Ziel ankommen. Und die größten Herausforderungen lagen ja noch vor uns!

Irgendwann war es mal wieder Zeit, eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Kein Problem, Istanbul ist ja eine Touristenhochburg. Wir also runter von der Autobahn und rein in die Stadt. Aber Fehlanzeige. Kein Hotel weit und breit. Dafür rush-hour, und wir mittendrin. Schnell haben wir im Wirrwarr der Straßen und Sträßchen die Orientierung verloren, aber auf einmal war die Stadtautobahn wieder da, und ruck-zuck warn wir auch wieder auf der Mautautobahn.

Und jetzt fing es -believe it or not- megamäßig an zu schneien. Nassschnee natürlich, der auf der Frontscheibe klebte. Leider funktionierte die Scheibenwaschdüse nicht, so war das Fahren „etwas“ nervig. Der Niederschlag entwickelte sich zu einem wahrhaftigen Schneeturm (Hallo!! Wo ist hier der sonnige Süden?), und die Autobahn wurde, obwohl sie gestreut wurde, recht glatt – gut illustriert durch einen nagelneuen Mercedes, der quer auf der Fahrbahn stand, nachdem er die Mittelleitplanke „geküsst“ hatte. Zum Glück war kaum Verkehr auf der Autobahn. Gleichzeitig quittierte der Scheibenwischer des Käfers, der monatelang durch ein unerklärliches Quietschen auf sich aufmerksam gemacht hatte, seinen Dienst. Mein Co-Pilot versuchte, mit einem langstieligen Abzieher während der Fahrt den Scheibenwischer zu ersetzen, indem er um die A-Säule herumgriff (beim Käfer geht das…bedingt.) Hat nicht wirklich funktioniert und statt Blindflug mussten wir mehrfach anhalten, um auszusteigen und die Scheiben von Hand zu reinigen.

Nach vielem Suchen fanden wir -bereits wieder weit am Ende der Stadt- eine kleine, schmuddelige aber günstige Pension, wieder ohne Heizung, aber dafür mit Heizdecken.

Tag 7 (29.12.1992) – 430 km

Am Folgetag habe ich den Scheibenwischermotor ausgebaut und auseinandergenommen (da Standardkäfer ist der Motor besonders einfach aufgebaut, er hat keine automatische Rückstellung): nicht zu sehen. Drehte sich etwas schwierig, aber sonst schien alles in Ordnung. Also alle sauber gemacht, neues Fett rein, zusammen- und wieder eingebaut. Und sieh da: er lief wieder wie eine Eins. Das Leben kann so einfach sein.

Heute stand noch etwas Autobahn auf dem Programm, bis wir nach Süden abbiegen. Wir wollten so schnell wie möglich in wärmere Gefilde, sprich ans Mittelmeer, diagonal über das anatolische Hochland wäre zwar die kürzere Strecke gewesen, versprach aber, eher frostig zu werden.

Von unserem Nachtplatz in Izmit ging es via Afyon gen Süden. Durch eingezuckerte Schneelandschaften fuhren wir bis Dinar. Das Land ist mal leicht wellig, mal mit steilen Bergpässen. In Dinar nächtigen wir in einem Hotel über einem Teehaus. In der Mitte des hohen Raumes des Cafés steht ein riesiger Ofen, dessen Ofenrohr erst kunstvoll durch den Raum geschwungen und danach ebenso kreativ durch darüberliegende Hotelzimmer geleitet wird. Entsprechend kuschelig ist es überall – endlich mal.

„Otel Kanarya“ im Schnee in Dinar (anatolisches Hochland)

Tag 8 (30.12.1992) – 426 km

Es hat geschneit, alles ist leicht überzuckert, und außerhalb des Dorfes sind die Straßen spiegelglatt. Zum Glück war es nur ein lokaler Schauer gewesen.

Co-Pilot Warner – Zwischenstopp im Hochland. Wir hatten abgesprochen, dass der Wagen erst gewaschen wird, wenn wir in Kairo sind.

Und bald folgte der lange Abstieg zum Mittelmeer. In Antalya sehen wir die ersten Palmen, und kurz danach genießen wir beim Picknick 16 kuschelige Grad.

Im weiteren Verlauf folge eine sehr kurvige, schmale und mitunter steile Küstenstraße bis nach Anamur. Dort finden wir tolle Aussichten übers Meer.

Grandiose Weitsichten auf das Mittelmeer

Tag 9 (31.12.1992) – 477 km

In Anamur nächtigten wir in einem Luxushotel-für kleines Geld. Und: überall Holländer 😀

Am nächsten Morgen ist es doch recht frisch, Regenwolken begleiten uns. Im Hotel hatten wir gehört, dass im Norden (wo die kürzere Strecke verlaufen wäre) vier Meter Schnee gefallen, Lawinen abgegangen und Menschen ums Leben gekommen waren. Zum Glück waren wir bereits im Süden, auch wenn der noch nicht so richtig sonnig war.

Von Anamur standen noch ein paar kurvige Küstenstraßenkilometer auf dem Programm, bis wir auf die Rennbahn von Mersin über Adana nach Antakya kamen. Dort haben wir in einer schmuddeligen Pension mit Kirschsaft und Kirschtorte Silvester gefeiert. Am nächsten Morgen war es wieder bzw. immer noch frisch.

Tag 10 (1.1.1993) – 277 km

Am nächsten Morgen haben wir uns das Hauptpostamt von Antakya gesucht und dort um ein Ferngespräch in die Niederlande bzw. nach Deutschland gebeten. Das wurde dort noch von Hand vermittelt. Sobald die Verbindung stand, durften wir in eine Zelle gehen und dort das Gespräch führen. Nach Beenden wurde bezahlt.

Und dann ging es los, noch 50 Kilometer bis zur Grenze Syriens und damit Grenzübertritt – Level 4. Wie uns der Einstieg in die arabische Welt geglückt ist, lest ihr in der nächsten Folge.

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Vor 30 Jahren: Mit dem Käfer nach Ägypten (ohne Fähre!) – 4

Weiterhin Tag 5 (27. 12.1992)

Eigentlich ist es eine schöne, baumgesäumte Straße. Im Sommer bestimmt. Aber es ist Winter, die Bäume sind kahl, und die dreckige Straße und die dreckigen Autos – alles verschwimmt in einem grau-braun-grau. In der rechten Spur stehen die LKW, links die PKW, ganz vorne sieht man einen Soldaten patrouillieren, es geht nicht voran.

Aus dem Nichts taucht eine Gruppe breitschultriger Gestalten auf, kommt auf unser Auto zu und sagt, wir müssen Geld wechseln, 100 DM. Wollten wir aber gar nicht, und wenn, dann erst in Bulgarien. Doch, wir müssten das jetzt wechseln. Und ob wir Fotoapparate dabei hätten…Sie machen keinen Hehl aus ihren Absichten und bezeichnen sich selbst als Maffia…und weil wir weiterhin nichts rausrücken wollen, fangen sie an, am Auto rumzufummeln. Irgendwas müssen wir jetzt machen. Der Grenzer in der Ferne „sieht nichts“, die anderen Autofahrer sind irgendwie weg. Wir bleiben stur und sagen wir haben keine D-Mark (schließlich sind wir mit holländischem Kennzeichen unterwegs-unser Glück), rücken letztendlich 10 Gulden raus, erzählen ihm Wunder was der Gulden für einen hohen Wechselkurs hat, geben noch eine Schachtel Zigaretten dazu und bekommen tatsächlich dafür eine ganze Handvoll bulgarischer Münzen plus ein paar Scheine, von denen alle mit einem nennenswerten Wert bereits ungültig sind, wie sich später herausstellt.

Bei der Ausreise muss für jeden Handschlag bezahlt werden, sogar das Benzin im Tank muss versteuert werden (auch wenn kaum was drin ist, wird der volle Tank berechnet). Heute frage ich mich, wie viel davon direkt in den Taschen der Grenzer versackt ist, ich glaube kaum, dass wir für alles eine Quittung bekommen haben. Dann geht es über die „Freundschaftsbrücke“ (eröffnet 1954), ein Meisterwerk von verblichenem Glanz. Auf zwei Etagen fahren Bahn und Autos auf einer Stahlgitterbrücke über die mächtige Donau, dann sind wir endlich in Bulgarien. Dort sind die Grenzformalitäten deutlich entspannter, und schnell spurten wir gen Sofia, wo wir Geschenke bei Verwandtschaft meines Studienkollegen abgeben wollen und gleichzeitig einen Schlafplatz haben werden. Leider wird es schon wieder dunkel, aber die Straßen sind gut.

Kurz vor Sofia beginnt sogar eine Art Autobahn, die allerdings manchmal quer durch die Dörfer geht – inklusive Kreuzungen. Kaum zu glauben: wir finden ohne Probleme unsere Übernachtungsadresse in einem der Neubauviertel in Sofia. Wie entspannend, wenn man sich endlich mal wieder richtig unterhalte kann, die Bude warm ist und es herrliche Betten gibt. Hier liefern wir die -etwas verspäteten- Weihnachtsgeschenke aus Amsterdam ab und telefonieren zum ersten Mal mit zu Hause.

Tag 6 (28. Dezember) (653 km)

Wie herrlich: eine warme Dusche am Morgen. Doch die Straße ruft: los geht’s! Noch 500 Kilometer bis Istanbul, sagt der Wegweiser am Straßenrand. Es gibt wieder eine Autobahn, so gelangen wir flugs nach Plovdiv. Da ist dann zwar die Herrlichkeit vorbei, aber wir kommen trotzdem zügig weiter. Ruck-zuck sind wir aus Bulgarien ausgereist, und auch an türkischer Seite geht es fix. Bis zum letzten Schlagbaum, wo uns eröffnet wurde, dass alles Mögliche an unseren Stempeln nicht in Ordnung war. Wir wollten einwerfen, dass uns seine Kollegen genau hiermit durchgelassen und weitergeschickt hatten, aber wie sagt man das nochmal in fließendem Türkisch? Wie also wieder zurück zum Anfang, und obwohl wenig Betrieb war, ging es sehr langsam voran.

Irgendwann waren wird dann aber doch in der Türkiye Cumhuriyeti. Erster Halt war in Edirne, wo wir Geld getauscht und eingekauft haben. Was für ein Kontrast zu Bulgarien und erst recht zu Rumänien: hier überall Geschäfte, Handel, geschäftiges Treiben und chaotischer Verkehr. Und die Moscheen natürlich.

In der nächsten Folge verlassen wir Europa, werden an die Jahreszeit erinnert und es gibt den ersten Defekt am Auto. In Kombination mit dem Vorgenannten äußerst unglücklich…

Vor 30 Jahren: Mit dem Käfer nach Ägypten (ohne Fähre!) – 3

Immer noch Tag 4 (26. 12.1992)

Da standen wir nun: den Benzinvorrat genau kalkuliert bis Bulgarien (dort würde es wieder überall Sprit geben); doch an der Donaufähre Calafat-Vidin beträgt die Wartezeit zwei Tage, wir haben keinen Camper, ein Hotel oder eine Pension gibt es nicht, im Tank noch ein Rest unbekannter Größe sowie fünf Liter im Reservekanister. Der nächste Ort mit Tankstelle dürfte Craiova sein, rund 100 Kilometer weit weg. Verbrauch des Käfers: rund 8,5 Liter auf 100 Kilometer. Wird es bis Craiova reichen? Und dann? Die nächste Möglichkeit der Donauquerung wäre in Giurgiu/Russe und ein unheimlicher Umweg für unsere Route über Sofia. Aber was blieb uns übrig?

Der 1966er Sparkäfer hat noch den alten Kraftstoffhahn, wir würden also fahren, bis der Motor blubbert, dann auf Reserve schalten, damit stünden „theoretisch“ noch fünf Liter Reserve zur Verfügung (aber wer weiß schon, ob man die aus dem Tank bekommt?) und dann haben wir noch weitere fünf Liter im Kanister. Wir sind optimistisch und denken: das geht!

Auf geht’s, nach Craiova! Die Spannung steigt: wann müssen wir umschalten auf Reserve? Es dauert erfreulich lange, bis wir den Hahn umdrehen müssen, und so erreichen wir Craiova relativ entspannt. Doch nun gilt es, ohne Umwege die Tanke zu finden. Die sind (damals) nicht etwa strategisch an den Ausfallstraßen platziert, sondern irgendwo mitten in der Stadt. Um gar nicht erst viel Zeit mit Suchen zu verplempern, fragen wir den ersten besten am Straßenrand, und der führt uns freundlicherweise fast direkt bis zur Tanke. Puh, geschafft! Natürlich, wie für Rumänien üblich, steht eine lange Schlange davor, aber das ist uns schon fast egal…

Mit vollem Tank hieß es jetzt erstmal Strecke machen, denn wir waren reichlich ins Hintertreffen geraten. Dabei wurde es (schon wieder) dunkel. Ihr erinnert Euch: fahren im Dunkeln, das ist sowas wie russisch Roulette. Doch wir haben einen Trick entdeckt: lass Dich von einem Einheimischen überholen und folge ihm in seiner halsbrecherischen Geschwindigkeit. Zuverlässig bremst er aber vor jedem Schlagloch, vor jeder Überraschungskurve. Doch irgendwann brauchten wir wirklich ein Bett. In Alexandria (nein, wir waren noch nicht in Ägypten) hatten wir ein „Hotel“-Schild erspäht, dem wir folgen wollten. Über dunkle Straßen in den Außenbezirken kamen wir zu einem augenscheinlich noch nicht fertiggestellten Neubau, dort jedoch: alles duster, kein Mensch zu sehen. Nun waren wir der Meinung: wenn es ausgeschildert ist, muss es auch in Betrieb sein. Wir wollten pennen!

An irgendeiner Tür wurde uns dann doch geöffnet, und wir stolperten in einen Saal voller Menschen, Musik und Rauch. Eine lokale Band hatte gerade eine Live-Aufnahme gemacht, und alle waren eingeladen (und inzwischen gut unterwegs). Was für ein Kontrast: die stillen, grauen Viertel und dann hier drinnen diese wilde, laute Party!

Der Chef persönlich organisierte noch etwas zu essen für uns (das Büffet war leider schon geplündert), und dann durften wir ab in die Koje. Pech für mich, die Frostbeule: es war schon wieder kalt.

Tag 5 (27. 12.1992) – 690 km

Wir hatten noch viel aufzuholen, also früh aus den Federn und weiter gen Osten (um danach wieder nach Westen zu fahren). Ziel war die „Giurgiu-Russe-Freundschaftsbrücke“ über die Donau, sie ist eine Stahl-Fachwerkbrücke, die im Jahre 1954 eröffnet wurde. Auf zwei Etagen fahren Eisenbahn und Fahrzeuge über das 2,8 Kilometer lange Bauwerk. Sie überquert die Donau und damit die Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien und entsprechend standen wir wegen der Grenzformalitäten erstmal im Stau. Als nächstes folgte eine halbe Katastrophe, Grenzübertritt Level 3, wie das ablief, berichte ich Euch nächste Woche.

Grau-in-grau vor der Donaubrücke. Trostloser geht’s nicht. Rechts die LKW, links die PKW. Das geübte Auge entdeckt unseren Käfer als drittes Auto von hinten.